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Zukunft ungewiss - Theaterarbeit in Afghanistan
Ein Terroranschlag in Kabul, eine ungewisse Perspektive in Weimar
Zur Situation von Bühnenkünstler_innen in Afghanistan, 16 Jahre nach dem Ende des Taliban-Regimes
Nasir Formuli (Azdar Theatre, Kabul) und Robert Schuster (Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin) sprechen über die Theatersituation in Afghanistan
Wie können internationale Theaterschaffende, die aktuell in Deutschland Zuflucht gefunden haben, einen Einstieg in die Theaterszene finden? Das war eine der zentralen Fragen, der die Netzwerkplattform »New Connections« am 30. November und 1. Dezember 2017 an der Bundesakademie gewidmet war. Sie brachte professionelle performing artists zusammen, die im Theaterbereich arbeiten. Kolleg_innen, die schon länger in Deutschland leben, trafen sich mit Kolleg_innen, die in den vergangenen Jahren durch Flucht hier angekommen sind.
In ihrem Vortrag bei »New Connections« sprachen Nasir Formuli und Robert Schuster exemplarisch über die Geschichte des Theaters in Afghanistan und die aktuelle Situation der Bühnenkünstler_innen.
Theater 16 Jahre nach dem Ende des Taliban-Regimes
Nachdem unter den Taliban Theater- und Musikaufführungen verboten gewesen waren, hatte es seit 2002 wieder erste Hoffnungsschimmer gegeben. In den Ruinen des Nationaltheaters in Kabul sind nach Jahren des Theaterverbots wieder Vorstellungen gespielt worden. Doch blieb die Lage für Theaterschaffende lebensbedrohlich. Ein für 2004 erstmalig geplantes Internationales Theaterfestival in Kabul, das u.a. mit Unterstützung des Goethe-Instituts und der Kulturstiftung des Bundes zustande gekommen war, musste aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt werden. Dennoch kehrten wichtige Künstler aus dem Exil zurück und internationale Kolleg_innen engagierten sich im Land, wie z.B. Lehrende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch aus Berlin oder die französische Regisseurin Ariane Mnouchkine, die 2005 Workshops in Kabul gegeben hatte und in der Folge afghanische Kollegen bei der Gründung des Aftaab Theatre unterstützte.
Eine neue Generation von Theaterschaffenden studiert in Kabul
Zu den jungen Menschen, die der lebensgefährlichen Situation für Bühnenkünstler_innen zum Trotz 2002 ein künstlerisches Studium in Kabul aufnahmen, gehörte Nasir Formuli.
Verschiedene Fakultäten der Hochschule in Kabul ermöglichten ein vierjähriges Studium der Darstellenden Künste mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, u.a. Schreiben, Schauspiel oder Regie. Nasir Formuli studierte am Schauspiel-Department der Universität Kabul und arbeitete nach seinem Abschluss ab 2006 als Puppenspieler, Regisseur und Schauspieler bei der Azdar Theatre Company.
Die Azdar Theatre Company. Eine große Ausnahme war die Kollegin im Ensemble, denn Frauen arbeiten in der Regel in Afghanistan nicht am Theater (Quelle: facebook)
2011 erhielt Nasir Formuli die Auszeichnung »Bester Schauspieler« des Ministeriums für Kultur und Information in Afghanistan. Im Mai 2014 war erStipendiat beim Internationalen Forum der Berliner Festspiele, das jedes Jahr mit Unterstützung des Goethe-Instituts parallel zum Theatertreffen 20 junge deutsche und internationale Theaterschaffende in Berlin versammelt.
Das Parwaz Puppet Theatre und weitere internationale Kontakte
2009 hatte Nasir Formuli gemeinsam mit Kollegen aus der Company heraus ein Figurentheater gegründet, das Parwaz Puppet Theatre. Es gastierte international auf Festivals, u.a. in Indien, und bereiste mit Inszenierungen für junges Publikum die verschiedenen Provinzen Afghanistans im Rahmen eines UNICEF-Projekts. Bildungspolitische Themen standen auf dem Spielplan des Parwaz Puppet Theatre, das auf seiner mobilen Bühne auch gesellschaftliche Probleme verhandelte: Gewalt, Analphabetismus, mangelnde Frauenrechte. Das Parwaz Puppet Theatre hatte u.a. das Stück »Der Löwe, der nicht lesen konnte« im Programm (ein kurzer Ausschnitt findet sich hier), inspiriert durch das Kinderbuch des deutschen Autors Martin Baltscheit.
Der Anschlag
Am 11. Dezember 2014 sprengte sich ein 17jähriger Selbstmordattentäter im Namen der Taliban in einer Vorstellung der Azdar Theatre in Kabul in die Luft. Zwei Menschen starben. Die Künstler_innen, die bereits zuvor anonyme Drohungen erhalten hatten, mussten um ihr Leben fürchten.
»Heart Beat (The silence after the explosion)« war die Produktion der Company, in der ein Selbstmordattentat verübt wurde.
Die Regierung ließ die Company wissen, sie könne die Gruppe nicht schützen und erteilte ihnen ein dreimonatiges Aufführungsverbot. Glücklicherweise hatte das Azdar Theatre eine Gastspielreise nach Indien geplant und verließ das Land für einige Wochen.
Kein Einzelfall. Theater standen in Afghanistan immer wieder im Fokus der Taliban: Im August 2011 war der Probenraum des Rah-e Sabz-Ensembles, der sich im Britischen Kulturinstitut in Kabul befand, bei einem Anschlag zerstört worden.
Auch dem Publikum der Vorstellung »Heart Beat (The silence after the explosion)« hatte der Anschlag am 11. Dezember 2014 gegolten. Im Zuschauerraum saß an diesem Tag u.a. der Gründer und Direktor des Afghanischen National-Instituts für Musik, Ahmad Naser Sarmast.
Leben im Ungewissen – internationale Gastspielreisen, befristete Engagements
Dem Engagement von einzelnen Personen und wenigen Theatern ist es zu verdanken, dass Künstler_innen aus Afghanistan derzeit hier in Sicherheit leben und arbeiten können. Ein Beispiel ist auch die Geschichte des afghanischen Musikers Ahmad Shakib Pouya, der 2017 an der Schauburg in München als Schauspieler engagiert wurde. Die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gehörte zu den Unterstützer_innen, die sich für die Kollegen des Azdar Theatre engagierten. Prof. Robert Schuster, Leiter der Abteilung Regie der Hochschule, berichtete in Wolfenbüttel davon, dass er als Vertreter seiner Hochschule nach dem Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift »Charlie Hebdo« im Januar 2015 gemeinsam mit internationalen Kolleg_innen daran gearbeitet habe, sich als Hochschule politisch zu engagieren. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen wie dem DAAD und dem Goethe-Institut gelang es ihm nach einigen Fehlschlägen, Nasir Formuli und einigen Schauspielern des Azdar Theatre Studiums- und Auftrittsmöglichkeiten in Deutschland zu ermöglichen. In der ersten gemeinsamen Produktion »Kula – nach Europa« (2016), bei der die Künstler der Company mitwirken sollten, konnten sie nicht auftreten, denn monatelanger Bemühungen zum Trotz hatten sie von der Deutschen Botschaft in Kabul keine Visa für die Einreise nach Deutschland erhalten. So standen sie bei der Premiere im Rahmen des Kunstfests Weimar 2016 nicht mit auf der Bühne. Nachdem Weimarer Bürger_innen persönlich für die Künstler bürgten, konnten die Schauspieler 2017 – ohne ihre Frauen – einreisen und an der zweiten Produktion Robert Schusters für das Kunstfest Weimar »Malalai – die afghanische Jungfrau von Orleans« in Deutschland auf der Bühne stehen.
Aktuell sind sie am Deutschen Nationaltheater Weimar engagiert, noch bis Januar 2018 gilt ihre Aufenthaltserlaubnis. Wie es dann weitergeht für die Schauspieler des Azdar Theatre aus Kabul, ist offen.
Von unserer Programmleiterin für Darstellende Künste Dr. Birte Werner
Filmtipp
Der Dokumentarfilm »True Warriors« (2017) erzählt die Geschichte der Azdar Theatre Company. Trailer
Nicolas Schenk und Ronja von Wurmb-Seibel, Filmemacher_innen, lebten 2014 in Kabul. Ihr Film zeichnet auch ein Bild des Lebens in der Stadt. Er läuft seit November 2017 im Kino.
Literaturtipp
»Dossier Afghanistan« der Bundeszentrale für politische Bildung (Okt. 2016).
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