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Teams und Programme müssen diverser werden!

07.12.2017

Ergebnisse unserer Netzwerkplattform »New Connections«

new connections Ergebnisse
Rania Mleihi (Dramaturgin am Schauspiel Hannover) und Wessam Talhouq (freier Schauspieler in Hannover) erläutern die Theaterlandschaft in Syrien

Wie können internationale Theaterschaffende, die aktuell in Deutschland Zuflucht gefunden haben, einen Einstieg in die Theaterszene finden? Diese Überlegung stand im Mittpunkt der Netzwerkplattform »New Connections«. Sie ist Teil einer umfassenderen Überlegung, nämlich der Frage danach, wie die deutsche Theaterszene insgesamt vielfältiger werden kann. Dazu müssen die Leitungen der Stadt- und Staatstheater das Thema Diversity zur Chefsache, zur vornehmen Leitungsaufgabe an ihren Häusern machen. Dass dies eine große Herausforderung ist und der wesentliche nächste Schritt sein muss, darüber waren sich die Kolleg_innen einig, die anlässlich der Netzwerkplattform »New Connections« am 30. November und 1. Dezember 2017 an der Bundesakademie in Wolfenbüttel zusammengekommen waren.
Die Plattform brachte professionelle performing artists miteinander in Kontakt, die im Theaterbereich arbeiten. Kolleg_innen, die schon länger oder schon immer in Deutschland leben, trafen sich mit Kolleg_innen, die in den vergangenen Jahren durch Flucht hier angekommen sind. Dabei wurden auch Projekte von Theatern und Freien Gruppen vorgestellt und diskutiert, die sich des Themas Diversity bereits angenommen haben. Und es wurde deutlich, dass es Beratung, Unterstützung, Vernetzung und ggf. auch einen kulturpolitischen Richtungswechsel braucht, damit Theater und andere Kultureinrichtungen in ihren Leitungen, ihren Teams und ihrem Programm vielfältiger werden können (s.u.).

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Das Ziel: die Basis für gemeinsame Schritte in neuen Konstellationen schaffen

»New Connections« war auf Initiative der Freien Gruppe boat people projekt in Göttingen, des Landesverbandes Freier Theater in Niedersachsen (LaFT) und der Bundesakademie zustande gekommen. Dass sich 80 Teilnehmende in Wolfenbüttel versammelten, von denen 30 internationale professionelle Bühnenkünstler_innen (die meisten Schauspieler_innen) waren, verdankte sich u.a. einer Recherchereise: Nina de la Chevallerie, Regisseurin und Mitgründerin von boat people projekt, war zusammen mit einem syrischen Kollegen durch Niedersachen gereist und hatte Kolleg_innen besucht, die aktuell hier Zuflucht gefunden hatten. »New Connections« reagierte einerseits auf den Wunsch dieser internationalen Kolleg_innen, mit der deutschen Theaterszene auf Augenhöhe – als professionelle Künstler_innen – in Arbeitskontakt zu kommen. Andererseits besteht bei vielen Stadt- und Staatstheatern, in der Freien Szene und der Soziokultur großes Interesse an dieser Zusammenarbeit.

Fragen über Fragen! Der Bedarf nach Wissen, Austausch und kollegialer Beratung untereinander ist hoch und muss fortgesetzt werden
Zur Plattform waren Kolleg_innen der Kammerspiele München, des Schauspiel Hannover und des boat people projekt Göttingen eingeladen, die vielfältige Erfahrungen in der Projektarbeit mit herkunftsdeutschen, zugewanderten und geflüchteten Menschen haben.
Sie stellten grundsätzliche Fragen zu Diskussion, auf die das Plenum keine letztgültigen Antworten finden konnte. Im Gegenteil: Viele der Beteiligten berichteten, dass sie gerade mit diesen oder ähnlichen Fragen befasst sind. Umso wichtiger, den Dialog darüber fortzusetzen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, zumal andere Künste und Institutionen vor denselben Herausforderungen stehen:

  • Was sind gute Lösungswege, um Sprachbarrieren zu meistern?
  • Wie kann in der künstlerischen Arbeit vermieden werden, ästhetisch zu viele Kompromisse zu machen, beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu landen?
  • Erfüllen die von der öffentlichen Hand geförderten Projekte tatsächlich die Erwartungen der Geflüchteten?
  • Wie lässt sich der Stempel »Flüchtling« oder »Refugee« loswerden, ohne dabei auf Netzwerke, Partner und Förderung zu verzichten, die damit verbunden sind?
  • Welche Strategien lassen sich entwickeln, um Diversity in großen Institutionen zur Chefsache zu machen?


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»facebook analog«: während der Netzwerkplattform hingen Portraitbögen aller Beteiligten im Veranstaltungsraum. Der Kontakt wird hier fortgesetzt.

An verschiedenen Thementischen wurde darüber gesprochen, welche Themen und Fragen die unterschiedlichen Berufsgruppen und Institutionen aktuell beschäftigen. Dabei ging es u. a. um folgende Punkte:

Stadt- und Staatstheater

  • Es gibt bisher kaum Bewerbungen von geflüchteten Schauspieler_innen an den Stadt- und Staatstheatern in Niedersachsen.
  • Es fehlt an einer Vernetzung unter den Häusern, um Informationen auszutauschen, sich zu beraten und Strategien zu entwerfen.
  • Die Theaterleitungen müssten einen Strukturwandel vorgeben – wie bewegt man sie dazu?
  • Auf dem Weg zu mehr Diversity bedarf es einer größeren Risikobereitschaft, die von allen (Geldgeber, Theaterleitung, Ensemble, Publikum) mitgetragen werden muss.


Soziokultur

Die zentralen Fragen in dieser Runde zielten auf das »Wie«:

  • Wie beantragt man Projekte? Es fehlen die Beratung und der Ort, wo die nötigen Informationen gebündelt vorliegen. Es wird eine Stelle gebraucht, an die sich Interessierte wenden können!
  • Wie wollen die Theaterschaffenden die Zukunft miteinander gestalten? Wie wollen sie gemeinsam arbeiten? Diese Fragen sind entscheidend für die Entwicklung der Theaterszene.


Theaterpädagogik

  • Wie lassen sich vor allem Mädchen und Frauen dazu zu bewegen, an einer Theaterarbeit mitzuwirken und auf der Bühne aufzutreten? Was kann man zu ihrem Empowerment tun?
  • Wie lässt sich grundsätzlich der Spagat zwischen theaterpädagogischer und politischer Bildungsarbeit meistern?
  • Wie übersetzen Theaterpädagog_in, was sie tun – Theater, Auftritt, Proben – für Menschen, für die dieser Prozess und das Produkt fremd sind?
  • Wo können noch mehr Begegnungsräume geschaffen werden zum Arbeiten auch für Einzelkünstler_innen und Freie Gruppen und für Kooperationen zwischen den Theatern der verschiedensten Strukturen?


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Krystel Khoury (Kammerspiele München) stellt Projekte vor und berichtet von Workshops zum Thema Diversity, mit denen sich Mitarbeiter_innen und das Ensemble am Haus weiterbilden


Freies Theater

  • Wo können fertige Arbeiten geflüchteter Kolleg_innen und Ensembles gezeigt werden, wo können sie freie Projekte und Workshops anbieten? Hier werden Hilfe und Beratung gebraucht.
  • Wie kann die Zusammenarbeit von Anfang an auf Augenhöhe stattfinden?
  • Welchen Hintergrund muss man haben, um in Deutschland als professionelle_r Theatermacher_in zu gelten?
  • Es gibt einen großen Beratungsbedarf dazu, wie die deutsche Theaterlandschaft funktioniert und finanziert wird, wie man sich auf Stellen bewirbt usw.

Musik

Gastgeber an diesem Tisch war das Team des Welcome Board, eine Initiative zur Unterstützung geflüchteter Musiker_innen beim Musikland Niedersachsen.

  • Wo und wie ist arabische Musik zu finden, die auch an einem deutschen Staats- oder Stadttheater funktioniert? Die große Herausforderung ist, dass es sich hier sehr oft um improvisierte und nicht notierte Musik handelt, es müssen also andere Formen der musikalischen Zusammenarbeit gesucht werden.
  • Es müssten Stellen für Musiker_innen auf außereuropäischen Instrumenten geschaffen werden (an Musikschulen, aber auch in Orchestern, an Theatern o.a. produzierenden Institutionen), darüber hinaus sollte es einen Ort für neue Ensembles mit neuen, transkulturellen Repertoires geben.

Wie geht es weiter, was folgt 2018?

  • Der Landesverband Freier Theater plant, 2018 eine Stelle unter seinem Dach zu schaffen, die Kommunikation, Beratung und Vernetzung zwischen den geflüchteten und den hier etablierten Kolleg_innen leisten kann.
  • Viele der Beteiligten wollen die Idee verfolgen, Mentoring- und Tandemmodelle an ihren Einrichtungen zu etablieren.
  • Bundesakademie, boat people projekt und LaFT werden den unterschiedlichen Impulsen und Fragen in weiteren Veranstaltungen nachgehen.


Kontaktieren Sie uns, wenn wir Sie darüber auf den Laufenden halten sollen!


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Bericht von Dr. Birte Werner, Programmleiterin für Darstellende Künste


Weiterführende Links

  • Das Programm von »New Connections« finden Sie hier.
  • Mehr über die vorgestellten Projekte (der Kammerspiele München, des Schauspiels Hannover und des boat people projekt) finden Sie hier.
  • Einen Beitrag über die Situation der Theaterschaffenden in Afghanistan, über die bei »New Connections« Nasir Formuli (Azdar Theatre, Kabul) und Prof. Robert Schuster (HfS Ernst Busch, Berlin) sprachen, finden Sie hier.
  • Eine ausführliche Dokumentation von »New Connections« finden Sie in Kürze hier.
  • Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) in Niedersachsen unterstützt seit einiger Zeit verschiedene Formen der Kooperation durch ein Sonderprogramm, aus dem auch »New Connections« gefördert worden ist.
  • Wir freuen uns, wenn Sie Teil des Netzwerks »New Connections« werden möchten! Kontaktieren Sie uns über die Seite der Bundesakademie oder über facebook.

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